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Veränderungsbereitschaft fördern durch Motivierende Gesprächsführung

von Nadine Muhl-Schmitt

In der agilen Transformation arbeite ich als Scrum Masterin an weitreichenden Veränderungen und manchmal fällt es einigen Betroffenen schwer, diese Veränderungen so weit mitzugehen, wie es bei einem Wandel nötig ist. Eine Umstellung eigener Arbeitsweisen verlangt oft, seit langen etablierte und vielleicht sogar liebgewonnene Routinen loszulassen und durch etwas Neues zu ersetzen. Die Gründe der bisherigen Gewohnheiten sind hierbei oft nachvollziehbar und berechtigt. Wenn eine agile Transformation trotzdem erfordert, auch sie zu ändern, stößt die Veränderungsbereitschaft schnell an ihre Grenzen. Die agile Transformation geht gefühlt nicht mehr voran.

Ich habe mich auf die Suche nach einer Herangehensweise gemacht, die mir bei solchen Situationen hilfreich sein könnte. Dabei bin ich auf das Buch von Andreas Jähne und Cornelia Schulz: "Grundlagen der Motivierenden Gesprächsführung - Für Beratung, Therapie und Coaching" gestoßen.

Motivierende Gesprächsführung wurde entwickelt, um Menschen mit Suchtproblemen zu behandeln. Dabei ist es das Ziel, die Eigenmotivation zu erhöhen, um ein – im Fall einer Sucht problematisches - Verhalten zu ändern. Es ist ein begleitender, anleitender Gesprächsstil, was bedeutet, dass der/die Berater*in die Rolle des Zuhörers einnimmt und nützliche Informationen teilt. Hierbei wird darauf verzichtet, Ratschläge zu erteilen, die Situation der betroffenen Person zu bewerten und irgendeine Form des Überredens und Überzeugen-Wollens anzuwenden. Der/Die Berater*in und die betroffene Person begegnen sich somit auf Augenhöhe, welches sich auch in den vier Prinzipien bezüglich der Haltung des Beratenden widerspiegelt: Partnerschaftlichkeit, Evokation, Akzeptanz und Mitgefühl.

Motivierende Gesprächsführung basiert auf der Annahme, dass die betroffene Person nicht ausschließlich gute Gründe für ihr eigenes Verhalten sieht, sondern auch das Gegenteil, also Argumente, die dagegensprechen. Aufgrund dieser ambivalenten Haltung ist jede Veränderung (und jeder Ist-Zustand) mit Vor- und Nachteilen behaftet. Bereitschaft zur Veränderung entsteht nur, wenn die betroffene Person die Nachteile bewusst wahrnimmt und als ausreichend schwerwiegend empfindet.

Die Aufgabe des Beratenden besteht zunächst darin, diese vorhandenen Ambivalenzen herauszuarbeiten, bewusst zu machen und gegebenenfalls zu verstärken. Die betroffene Person reflektiert hierbei selbst über die Vor- und Nachteile, wodurch die Motivation für einen Wandel von ihr selbst kommt und nicht von außen. Ist die Bereitschaft zur Veränderung einmal da, muss die betroffene Person auch die Zuversicht haben, dass sie erreichbar und realistisch ist. Der/Die Berater*in unterstützt die betroffene Person dahingehend, Selbstwirksamkeit zu erfahren, um eine nachhaltige Veränderung etablieren und aufrecht erhalten zu können. Um diesen Prozess zu unterstützen, werden stets die vier Prinzipien der Gesprächsführung geachtet: Empathie, Förderung der Selbstwirksamkeit, Verstärkung von Diskrepanzen und Umgang mit Dissonanz und Reaktanz. Hierfür bedient sich der/die Berater*in aus verschiedensten Techniken wie reflektiertem Zuhören, offenen Fragen und Würdigung.

Viele der Techniken und die Grundhaltungen der Motivierenden Gesprächsführung lassen sich auch bei anderen Beratungskonzepten wiederfinden. Dass ich gerade die Motivierende Gesprächsführung so wertvoll finde für meine Arbeit als Scrum Masterin hat zwei Gründe:

Zunächst hat mich das Buch daran erinnert, wie essenziell viele dieser grundlegenden Dinge sind wie reflektiertes Zuhören, Empathie und Wertschätzung. Ich wurde dadurch motiviert, mich intensiver diesen Punkten zu widmen und sie zunehmend in meinem Alltag zu integrieren. Seither achte ich vermehrt darauf, die individuelle Situation und die Rahmenbedingungen, in denen sich eine Person befindet, wahrzunehmen und urteilsfrei anzuerkennen.

Der zweite Grund liegt darin, dass mir wieder bewusst wurde, wie vielschichtig und differenziert die Gründe sein können, warum jemand in einer bestimmten Situation eine Veränderung ablehnt. Ich lege nun mehr Wert darauf, aktiv und bewusster zuzuhören und versuche meine eigenen Gedankenströme beim Zuhören in den Hintergrund zu stellen. Mir fällt es dadurch leichter, mich in meine Gesprächspartner hineinzuversetzen und ihre Perspektive einzunehmen. Der Perspektivenwechsel macht es einfacher für mich, trotzdem nachzuvollziehen, dass bestimmte Veränderungen möglicherweise nicht mitgetragen werden (können). Beispielsweise kann es sein, dass die Veränderung aus Sicht meines Gegenübers keinen Sinn ergibt beziehungsweise keine Notwendigkeit dazu besteht. Das hilft mir wiederum, meine gewählten Herangehensweisen und Methoden zu hinterfragen und entsprechend anzupassen. Ich kann gezielter auf die vorhandene Situation eingehen und andere Herangehensweisen wählen. Damit minimiere ich das Risiko, mich für ein Vorgehen zu entscheiden, das zu meiner Perspektive passt, aber womöglich gar nicht zu dem, was meine Gesprächspartner denken und fühlen. Mir werden also ganz neue Lösungsmöglichkeiten eröffnet, die mir ansonsten nicht in den Sinn gekommen wären.

Als Fazit kann ich einen Blick in die Motivierenden Gesprächsführung durchaus empfehlen, vor allem wenn bereits ein Interesse an Coaching/Beratung und Kommunikation besteht.

Quellen und Links

"Grundlagen der Motivierenden Gesprächsführung - Für Beratung, Therapie und Coaching" von Andreas Jähne, Cornelia Schulz; ISBN- 978-3-95571-727-8
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