Zurück

Die Systemische Schleife im Agilen Kontext

von Christoph Jung und Vera Hofheinz

Systemisches Denken und Handeln findet immer mehr Beachtung in der Agilen Szene [Oe17, PSA21, Bil21]. Viele Scrum Master, Agile Coaches und Führungskräfte erhoffen sich daraus neue Impulse für ihre Arbeit. Systemische Methoden

  • liefern neue Perspektiven auf Situationen,
  • entwickeln alternative Handlungsoptionen,
  • fördern kooperative Entscheidungen und Selbstorganisation,
  • empowern die Mitarbeiter:innen,
  • setzen sich mit Komplexität auseinander.

Für uns ist das Grund genug, das Thema einmal genauer zu betrachten und euch systemisches Arbeiten anhand eines zentralen Konzepts zu erläutern – der systemischen Schleife. Und daran zeigen wir auch gleich noch, warum die Systemische Haltung eigentlich sehr gut zu Agilität und Agilem Mindset passt.

Die Systemische Haltung

Die systemische Haltung findet ihren Ursprung in der Systemtheorie, wo sich der Fokus der Betrachtungen weg vom einzelnen Objekt (z.B. der Mensch mit seinen Eigenschaften) hin zu den Zusammenhängen, Wechselwirkungen und Nicht-Linearitäten in komplexen Kontexten (wie z.B. soziale Systeme, wie Familien und Organisationen) verschiebt. Der sog. Konstruktivismus – als Teil der systemischen Lehre – bietet darüber hinaus ein Model, das annimmt, dass sich alle Menschen ihre jeweils eigene Realität selbst schaffen, die sich aus eigenen Erfahrungen und Wertesystemen speist und in sich immer richtig ist. Weitere wichtige Bausteine sind die Prinzipien Ressourcen-Orientierung und Lösungsfokussierung. Sie bieten die Annahme, dass Beteiligte in einem Kontext immer die nötigen Ressourcen/Fähigkeiten besitzen, eine Veränderung für sich oder ihr Umfeld zu erreichen, und dass die Konzentration auf Lösungen mehr hervorbringt als die genaue Analyse und Lokalisation des vermeintlichen Problems.  

Wenn man sich diese Modelle als Grundlage für seine Beobachtung und Denkweise aneignet, d.h. seine systemische Haltung entwickelt, können sich in den oben genannten Situationen u.U. neue Perspektiven für alle Beteiligten zeigen. Verbesserte Kommunikation, die Einbeziehung aller Mitarbeiter:innen in die Unternehmensgestaltung und die Fähigkeit zur Selbstreflexion sind weitere Bausteine auf dem Weg hin zu einer systemischen Haltung.

Die Systemische Schleife

Und was tut man nun konkret z.B. als Coach oder Führungskraft, wenn man nach systemischen Prinzipien handelt? Das kann man – sehr vereinfacht – mit der systemischen Schleife [Pae20] beschreiben (siehe Grafik unten).

Sie stellt einen iterativen Prozess dar, d.h. das Vorgehen wiederholt sich prinzipiell immer wieder von neuem. In jeder neuen Runde werden dadurch neue Informationen und der voranschreitende Veränderungsprozess berücksichtigt.

Zu Beginn des Prozesses (Schritt 1) sammelt man Beobachtung über den Kontext, in dem man als Coach oder Führungskraft wirkt, zu sammeln. Das kann z.B. bedeuten, Gespräche zu führen oder Informationen über die Gruppe/Organisationseinheit aus anderen Quellen zusammenzutragen. Als nächstes (Schritt 2) entwickelt man Hypothesen über die Beobachtungen, mit dem Ziel, neue/alternativen Handlungsoptionen bzw. Interventionen zu finden. Die möglichen Interventionen (Schritt 3) müssen dann vorbereitet werden bzw. es muss eine Bereitschaft für Veränderung im Kontext geschaffen werden (Anregungsoffenheit). Im letzten Schritt 4 werden die Interventionen dann ausgeführt, entweder durch den Coach selbst oder die Menschen in dem betrachteten Kontext. Diese Maßnahmen führen wiederum zu Veränderungen, welche sich durch neue Beobachtungen dem Coach / der Führungskraft zeigen, und dann zu weiteren Iterationen führen.

Systemische Schleife und Agilität

Agile Vorgehensweisen und Systemische Betrachtungsweisen sind sich im Kern sehr ähnlich: In beiden Welten geht es um die Navigation im Komplexen mithilfe eines empirischen Vorgehens. Der iterative Ansatz erlaubt es, immer wieder ein Stück in die vielversprechendste Richtung zu gehen. Sei es, dass man in einem Konflikt zwischen zwei Personen eine neue Perspektive für einen der Beteiligten findet, die für ihn/sie eine potentielle Lösungsmöglichkeit birgt. Oder dass man eine neues (potentiell umsatzsteigerndes) Feature in einem neuen Produkt erst in einer kleinen Variante ausprobiert, bevor man es vollständig entwickelt. In beiden Fällen muss man sich danach wieder neu orientieren, z.B. durch die weitere Beobachtung des Konflikts oder Folgegespräche im einen Fall, oder ein Sprint Review mit Stakeholdern oder Tests mit echten Nutzern des Produkts im anderen Fall.

Sowohl in der agilen als auch in der systemischen Welt geht es um eine Haltung, d.h. eine grundlegende Denk-Einstellung und einen bestimmten Blick auf die Dinge. Fortgeschrittene Agile Teams erkennt man vielleicht daran, wie sie mit Unsicherheit umgehen, experimentierfreudig sind, und wertschätzend miteinander umgehen. Dieses Mindset als eine Art Wahrnehmungszustand zu erreichen bzw. anzustreben ist wichtiger als die „richtige“ Anwendung von bestimmten agilen Praktiken. In der Systemischen Welt bedeutet die Systemische Haltung gleichermaßen, ein bestimmtes Denkmodell anzuwenden bzw. aus systemtheoretischen Überlegungen heraus zu handeln [FS20]. Einen systemisch denkenden Menschen würde man vermutlich daran erkennen, dass er stets nicht nur einzelne Personen/Ereignisse betrachtet, sondern z.B. auch Umfeld, Verhaltensmuster, Historie oder geltende soziale Regeln. Oder dass er in Gesprächen vielfältige Perspektiven fördert und sich im Falle von Konflikten und Herausforderungen nach Lösungen orientiert, und sich nicht auf Problemstellungen fokussiert.

Aber wie arbeitet man konkret mit den einzelnen Schritten in der systemischen Schleife? Welche Praktiken und Prinzipien kann man anwenden? Wie kann ich (als Leser) diese bei mir im eigenen Kontext anwenden?

Diese Fragen wollen wir in den folgenden Abschnitten beantworten.

Die Systemische Schleife – Schritt 1: Systemisch beobachten

Eine erste Annäherung mit systemischem Denken kann erfolgen, wenn ich anfange, möglichst wertfrei zu beobachten. Zwei einfache Beispiele, die den Unterschied klarmachen:

  • Heute scheint die Sonne von einem wolkenlosen Himmel und es sind 21 Grad Celsius (Beobachtung)
  • Heute ist schönes Wetter (meine eigene Bewertung des Wetters)
  • Mein Kollege Max hat heute morgen nicht gegrüßt als er ins Büro kam (Beobachtung)
  • Mein Kollege Max ist heute total schlecht gelaunt (Interpretation seines Verhaltens)

Wechseln wir in unseren beruflichen Alltag: Oft sind wir als Scrum Master, Agile Coach oder Führungskraft mit der Begleitung von agilen Transformationen beauftragt. Ein großer Veränderungsprozess für die Menschen und die Organisation. Dabei auftretende Konflikte und Widerstände erzeugen mitunter hohe Reibungsverluste und Frustration.

Ein Scrum Master mit systemischem Hintergrund wird diese Reibung wertfrei beobachten und sie als Chance für Weiterentwicklung nutzen. Im Wissen darum, dass große Veränderungen, wie es die Einführung von Scrum ist, immer Verwirrung im System erzeugen und in der Überzeugung, dass es viele verschiedene Perspektiven und Meinungen zu einer Situation gibt, wird er alle Beteiligten mit ihren Einwänden ernstnehmen. Er handelt allparteilich, stellt und begegnet den Menschen mit Offenheit und Neugier. Basierend auf seinen Beobachtungen bildet er Hypothesen (siehe nächsten Abschnitt) und sucht darauf aufbauend gemeinsam mit den Teams, Fachabteilungen und Führungskräften nach anschlussfähigen Lösungen. Er scheut sich nicht, Haltungen, festgefahrene Positionen und tief verankerte Glaubenssätze respektvoll zu hinterfragen.  

Die Systemische Schleife – Schritt 2: Hypothesenbildung

Beim zweiten Schritt der Systemischen Schleife geht es darum, einen beobachteten Sachverhalt oder eine Situation aus anderen, vorher unbekannten Perspektiven zu betrachten und darauf aufbauend verschiedene Hypothesen zu bilden. Das kann dabei helfen, neue Handlungsmöglichkeiten in einer auf den ersten Blick „unlösbaren“ Situation zu entdecken. Diese neuen Perspektiven können helfen, z.B. Konflikte zu entschärfen oder Veränderung nicht als Gefahr, sondern als Chance zu sehen. Hier ein paar typische Beispiel-Situationen:

  • Der Kollege, der mich im Meeting immer unterbricht: Will er mich ärgern, oder hat er einfach wertvolle Ideen, die er schnell mitteilen will?
  • Die neue Produkt-Funktionalität, die ein Stakeholder spontan für den nächsten Entwicklungs-Sprint angemeldet hat: Macht mir das jetzt wieder meine Planung kaputt, oder ist es einfach toll, dass wir noch rechtzeitig vor dem Start etwas Wichtigeres vorziehen können?

Eine Hypothese ist eine mögliche Erklärung für etwas, was ich beobachte oder wahrgenommen habe. Im besten Fall entwickle ich mehrere unterschiedliche Hypothesen - nicht jede ist gleichermaßen zielführend oder sinnvoll. Aber die konsequente Trennung des beobachteten Sachverhalts von den Hypothesen fördert die Haltung: “es könnte so sein – es könnte aber auch ganz anders sein”. Die systemische Perspektive kann helfen, günstige Formulierungen zu finden. So ist es zum Beispiel für das Finden anschlussfähiger und stärkender Interventionen günstiger, ein Verhalten in einer Situation durch eine mögliche positive Intention oder Stärke der Person zu erklären als durch eine böse Absicht bzw. Schwäche.

Hier haben wir die aus unserer Sicht wichtigsten Eigenschaften von systemischen Hypothesen zusammengestellt:

  • Konjunktiv: Die Hypothese ist als Möglichkeit formuliert – „Möglicherweise …“, „Es könnte sein, dass …“
  • Zeitbezogen: Durch die Formulierung mit Schlüsselwörtern wie „Heute ist …“, „Aktuell macht …“, „im Moment klappt …“ erkennt man an, dass sich etwas an dem Zustand ändern kann, er evtl. endlich ist.
  • Inter-Personell: Hypothesen sollten sich auf die Beziehungen und die Kommunikation von Personen im betrachteten Kontext fokussieren. Häufig entstehen Konflikte oder nicht geklärte Erwartungshaltungen durch Missverständnisse oder fehlende Kommunikation.
  • Organisation als Soziales System: Es kann helfen [KöVo16], den Blick zu richten auf z.B.
    • das bisher geschehene (Historie),
    • die geltenden expliziten und impliziten Vereinbarungen (soziale Regeln),
    • die Gedanken/Empfindungen der Beteiligten (subjektive Deutungen),
    • die umliegenden sozialen Bereiche wie z.B. Teams, Abteilungen, Kunden (Umwelt),
    • Gewohnheiten, Rituale bzw. Dinge die sich eingespielt haben / wiederholen (Muster, Regelkreise).
  • Ressourcen-orientierung: Die Hypothese sollte nicht als Defizit sondern als Ausdruck einer möglichen Kompetenz formuliert sein.

Hier seht ihr nochmal eine kleine Beispiel-Situation und entsprechend systemisch-formulierte Hypothesen:

Beispiel-Situation:

Konflikt zwischen Product Owner (PO) und seinem Chef:

„Der Chef kennt unser Produkt nicht wirklich. Er entscheidet häufig ohne Input des Teams.“

Mögliche Hypothesen:

  • Möglicherweise hat der Chef Informationen, die der PO nicht kennt
  • Vielleicht hat der Chef ein anderes Verständnis von Selbstorganisation
  • Möglicherweise möchte er das beste Produkt entwickeln
  • Eventuell kennt er nicht die Diskussion des Themas im Team
  • Vielleicht versucht der Chef, andere Ziele zu erreichen und erfolgreich zu sein
  • Eventuell muss der Chef im Meeting zeigen, dass er entscheiden kann

Es ist wichtig zu erwähnen, dass es nicht darum geht, besonders zutreffende oder gar „wahre“ Hypothesen zu finden. Hypothesen können auf jeden Fall auch falsch sein, sie sollen lediglich helfen, neue Ansatzpunkte für Interventionen zu identifizieren.

Gerade am Anfang kann es helfen, die Hypothesen zusammen mit einem Kollegen oder auch im Team zu besprechen, um sie zu verbessern. Häufig formuliert man die Hypothesen doch eher defizit-orientiert oder ist zu eng fokussiert auf naheliegende und für einen selbst gewohnte Aspekte.

Die Systemische Schleife – Schritt 3: Interventionen planen und Anregungsoffenheit herstellen

Der 3. Schritt der systemischen Schleife ist das Planen von Interventionen. Unter Interventionen verstehen wir in der systemischen Welt, dass wir aufgrund unserer Hypothesen Impulse und Methoden überlegen, die geeignet sein könnten, eine unserer Hypothesen zu bestätigen. Wie wir im vergangenen Abschnitt dargelegt haben, dienen die Hypothesen dazu, neue Perspektiven zu erkennen und Möglichkeitsräume zu öffnen.

Im Unterschied zu der linearen Vorstellung von Eingreifen- und Verändernkönnen, bin ich mir mit der systemischen Haltung bewusst, dass ich “nur” Impulse an das System geben und durch meine Arbeit bei allen Beteiligten eine sogenannte Anregungsoffenheit für Veränderung erzeugen kann.

Ein guter Leitfaden, um Anregungsoffenheit für Veränderung zu erzeugen, ist die 4P Richtschnur. Anhand der 4 P`s: Purpose, Picture, Plan und Part to Play können Führungskräfte, Agile Coaches, Product Owner und Scrum Master immer wieder in den Dialog und Austausch gehen und so die Bereitschaft für Veränderung erhöhen.

Purpose: Warum führen wir agile Methoden ein?
Wir sind zu langsam in unserer Entwicklung, unsere Produkte sind nicht mehr am Bedarf unserer Kunden orientiert, wir verlieren Mitarbeiter:innen, weil wir ihnen zu wenig Selbstorganisation und Entwicklungsmöglichkeiten bieten…. usw.

Picture: Wie sieht unsere Organisation, unsere Zusammenarbeit aus, wenn wir agile Methoden eingeführt haben?
Wir arbeiten in kleinen iterativen Schritten, holen uns schnell Kunden Feedback ein und können die Weiterentwicklung unseres Produktes sehr nah an den Bedürfnissen unserer Kunden orientieren. Wir erhöhen die Mitarbeiter:innenzufriedenheit durch mehr Selbstorganisation und eigenverantwortliches Handeln….usw.

Plan: Wie wollen wir agile Methoden einführen?
Wir starten mit einem IT Team, in dem wir Scrum durch die Unterstützung eines externen Scrum Masters einführen. Wir arbeiten mit einem agile Coach zusammen, der die Kommunikation zwischen Fachbereichen und IT verbessert und so sukzessive die Organisationsprozesse leichtgewichtiger und effizienter machen. Parallel dazu bauen wir agile Kompetenz in unserer Organisation auf….usw.

Part to Play: Warum brauchen wir Dich für die Umsetzung?
Du hast sehr viel fachliche Kompetenz, die wir auch in der neu strukturierten Organisation sehr gut brauchen. Es ist wichtig, dass jeder Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin die agilen Werte kennt und zur Weiterentwicklung der Organisation beiträgt…..usw.

Das iterative Vorgehen in Scrum bietet hervorragende Möglichkeiten, zu den gebildeten Hypothesen während eines laufenden Sprints Interventionen zu planen, Einzelgespräche zu führen, mit guten Fragen zur Reflexion anzuregen, um dann in einem der Meetings in Scrum – Refinement, Planning, Review und Retrospektive die geplanten Interventionen vorzuschlagen oder auch über die letzten Interventionen zu reflektieren und zu entscheiden, ob sie sinnvoll waren und zur Weiterentwicklung des Veränderungsprozesses beigetragen haben.

Die Systemische Schleife – Schritt 4: Interventionen umsetzen

Im letzten Schritt haben wir gezeigt, welche Voraussetzungen wichtig sind, um Interventionen wirksam werden zu lassen. Nun geht es darum, welche Arten von systemischen Interventionen denkbar wären, und bei welchen Gelegenheiten man sie umsetzen kann.

Im Alltag einer agilen Organisation gibt es viele Gelegenheiten, in denen systemische Interventionen wirken können:

  • In Gesprächen: Das können z.B. Entwicklungsgespräche mit Team-Mitgliedern sein, in denen man die Person zum Reflektieren über ihre Ziele und aktuelle Handlungsoptionen bringen kann. Oder das Gespräch mit dem Team-Leiter oder Produkt Owner, in dem ein aktuelle Herausforderung in der Entwicklung betrachtet wird, und man als Coach immer wieder alternative Perspektiven anregt und unterstützt.
  • Situativ: Es kann auch immer wieder vorkommen, dass man in einer Situation reagieren muss. Das kann ein spontaner Konflikt zwischen zwei Teilnehmern eines Workshops sein, oder eine unbedachte Formulierung eines Kollegen usw. In solchen Situationen kann man meist kein vorbereitetes Format aus der Tasche ziehen. Aber man kann sich u.U. an bestimmte Prinzipien der systemischen Haltung erinnern, und durch geeignete Fragen unterstützen, z.B.:
    • Gibt es alternative Perspektiven in der gegebenen Situation?
    • Was wurde gesagt? Was wurde gemeint? Was wurde gewollt?
  • In Meetings / Workshops / Retrospektiven: Hier hat man meist mehr Zeit für die Vorbereitung, und je nach Kontext kann man entsprechende Gesprächs-, Interaktions-, und Reflexionsformate Formate für die Teilnehmer vorbereiten. Im Folgenden wollen wir euch ein paar typische Methoden vorstellen.

Beispiele für systemische Interventionen

Soziometrische Aufstellung (Situation: z.B. in Meeting/Workshop): Menschen stellen sich z.B. anhand einer gedachten Linie im Raum auf, wobei die Linie eine Skala für eine relevante Eigenschaft oder Kontroverse repräsentiert (z.B. „Wie schätze ich die Qualität unserer Software aktuell ein?“, „Wie zufrieden war ich mit dem Meeting heute?“, …) Durch die Positionierung im Raum wird schnell ersichtlich, wer sich wo einordnet, und es können Unterschiede zunächst einmal sichtbar gemacht werden. Hier geht es in einem ersten Schritt wirklich um das Zuhören und die verschiedenen Perspektiven wahrzunehmen. Wichtig ist es, danach durch Fragen Bewegung ins System zu bringen (z.B. „Was müsste passieren, damit Du Dich von 2 auf 4 bewegst?“). Sehr oft ergeben sich daraus Ideen für mögliche Veränderung.

Systemisches Fragen (Situation: z.B. im Einzelgespräch mit Team-Mitglied): Für Systemiker ist das Gespräch ein „ständiger Austausch von Wirklichkeitskonstruktionen“ [Sch16]. Neue Wirklichkeiten (und damit auch neue Handlungsoptionen) können für den Gesprächspartner durch Fragen angeregt werden. Zirkuläre Fragen z.B. integrieren die Perspektive von dritten in einen Kontext: „Wie denkt ihr Chef möglicherweise über ihre Entscheidung? Und ihre Kollegen? Und ihr Lebenspartner?“ usw. Die alternative Perspektive (auch wenn sie nur spekulativ ist – die jeweilige Person ist ja nicht am Gespräch beteiligt) bringt neue Sichtweisen in die Fragestellung und macht neue Zusammenhänge sichtbar. Und warum sollte der Coach/die Führungskraft nicht einfach direkt drauf hinweisen? Fragen sind oft hilfreicher als eigene Interpretationen oder gar Empfehlungen, da sie vom Gesprächspartner einfacher abgelehnt werden können und kein Widerstand aufgebaut wird.

Bei Interventionen sollte man immer im Auge behalten, dass es keine wirkliche „erfolgreiche“ Durchführung gibt. Jede Intervention ist eine Irritation des komplexen Systems, in dem sie wirkt, und die das System (und die Menschen darin) zu einer Reaktion bringt. So kann z.B. das vordergründige „Scheitern“ einer Retrospektive auch ein wichtiger emotionaler Impuls für die Teilnehmer bringen, der ihr Verhalten in den folgenden Tagen beeinflusst.

Damit man die „Reaktionen“ seines Systems richtig einordnen kann, ist es deshalb auch wichtig zum einen eine klare Auftragsklärung mit den Beteiligten zu erreichen (ggfs. Auftraggeber, betreutes Team, etc.). Außerdem sollte man auch immer wieder den Blick auf das Beratungs-System (die Zusammenarbeit von Coach/Führungskraft mit dem System) werfen, d.h. sich seine eigene Wahrnehmung, Motivation, Erwartung und auch Kommunikation bewusst machen.

Fazit

Die Systemische Schleife ist ein einfaches Modell für das Vorgehen eines Coaches oder einer Führungskraft mit systemischer Perspektive. Aufgrund des iterativen Charakters des Modells ist die Vorgehensweise vergleichbar mit dem Agilen Vorgehen und kann eine hilfreiche Ergänzung der Methodik einer Führungskraft bzw. eines Agile Coaches / Scrum Master sein.

Damit das Vorgehen mit der Schleife wirksam sein kann, sollte man ein paar Dinge beachten:

  • mit systemischem Blick auf die Situation zu schauen und beobachten (z.B. wertschätzend, Zusammenhänge erkennend, lösungsfokussiert, ressourcen-orientiert)
  • mit Hilfe von Hypothesen möglichst viele unterschiedliche Perspektiven entwickeln und
  • bei der Wahl von Interventionen wiederum mit einer systemischen Haltung mit dem betrachteten Kontext umgehen (d.h. Anschlussfähigkeit der Interventionen, Anregungsoffenheit fördern, Autonomie des Systems beachten),
  • Interventionen in verschiedenen Kontexten platzieren und ggfs. bekannte systemische Methoden anwenden (z.B. soziometrische Aufstellung, systemische Fragetechniken, etc.).

Wir wünschen euch viel Spaß bei euren ersten Erfahrungen mit systemischen Herangehensweisen und der systemischen Schleife.

[Sch16] v. Schlippe, J. Schweizer, „Lehrbuch der Systemischen Therapie und Beratung“, 2016
[KöVo16] E. König, G. Vollmer, „Einführung in das systemische Denken und Handeln“, 2016
[Oe17] https://next-u.de/2017/unterschiede-systemisch-zu-agil/
[PSA21] https://systemisch-agil.podigee.io/
[Bil21] https://systemischesnetzwerk.de/zwischen-zwei-welten-systemisch-agil/
[Pae20] https://systemischesnetzwerk.de/die-systemische-schleife-als-navigationshilfe/

 

Zurück